Mittwoch, 5. September 2012

Thomas Coraghessan (T. C.) Boyle

First you have nothing, and then, astonishingly, after ripping out your brain and your heart and betraying your friends and ex-lovers and dreaming like a zombie over the page till you can't see or hear or smell or taste, you have something. Something new. Something of value. Something to hold up and admire. And then? Well, you've got a jones, haven't you? And you start all over again, with nothing. (aus “This Monkey, My Back”)

T. C. Boyle hat mit 17 Jahren beschlossen, seinen zweiten Vornamen von John in Coraghessan zu ändern. Und ich finde, das allein sagt schon viel über ihn aus, denn selbst wenn man in Betracht zieht, dass es der Name eines irischen Vorfahren mütterlicherseits war, so wäre er wohl für die meisten Teenager nicht die erste Wahl gewesen. Seinen Highschool-Abschluss hat er nur gerade so geschafft, im Studium aber seine Leidenschaft für die Literatur entdeckt und bereits seit 1978 (da war er übrigens gerade mal 30) unterrichtet er als Professor für Englische Literatur an der Universität von Südkalifornien. Bedenkt man, dass er zwischendurch noch eine „Karriere“ als Drogensüchtiger gemacht hat, bevor er das Heroin als Mittel der Sucht durch das Schreiben ersetzt hat, ist das schon ziemlich beeindruckend. In den 33 Jahren seit Veröffentlichung seines ersten Buches hat er insgesamt 13 (demnächst 14) Romane und viele, viele Kurzgeschichten herausgebracht. Sein neuester Roman „San Miguel“ wird nächste Woche erscheinen.

Soviel zu den Fakten. Für mich ist T. C. Boyle, einfach gesagt, einer der besten Schriftsteller unserer Zeit. Sollte ich ihm irgendwann einmal begegnen, muss ich es wohl wie Wayne und Garth machen, als sie zum ersten Mal Alice Cooper treffen (siehe hier). Denn das was ich, um ganz ehrlich zu sein, meistens empfinde, wenn ich seine Bücher lese, ist schlicht und ergreifend Ehrfurcht. Hört sich doof an, ist aber so.

Hauptsächlich Ehrfurcht vor seiner Fähigkeit mit Sprache umzugehen und vor den Charakteren, die er erschafft. Seine Charaktere sind nie stereotyp oder einseitig. Sie sind auch im Grunde nicht entweder gut oder böse (wobei manche Charaktere natürlich sympathischer sind als andere). Sie sind überzeugt von etwas. Sie haben Meinungen, haben einen Glauben oder eine Agenda und diese verfolgen sie auf Teufel komm raus und manchmal ohne Rücksicht auf Verluste. Es gibt keine Helden in Boyles Büchern, es gibt Menschen. Und die fühlen sich verdammt echt an. Wie z. B. der Umweltaktivist aus „A Friend of the Earth“, dessen einziges Ziel die Rettung des Planeten ist und der dafür im Endeffekt sein einziges Kind opfert. Ich persönlich konnte ihn wirklich nicht leiden (um ehrlich zu sein, ich habe ihn von Anfang an gehasst) und so ziemlich alles, was er getan hat, wäre für mich nie in Frage gekommen, aber von seinem Charakter ausgehend war es von vorne bis hinten nachvollziehbar und logisch, warum er handelt wie er handelt. Teilweise schwer zu verdauen, aber logisch.

Der andere Punkt, der jeden von Boyles Romanen für mich besonders macht, ist die Sprache. Die Sprachmelodie ist genau das: melodisch – und durchaus poetisch. So wie er die Dinge beschreibt, klingt Alltägliches oder sogar Grausames irgendwie schön, selbst ein überfahrenes Eichhörnchen am Straßenrand. Ich kann es wirklich nicht beschreiben, am besten mal selber lesen. Und seine Fähigkeit, beim Wechseln der Perspektive Rhythmus und Wortwahl komplett zu verändern und an die jeweilige Figur anzupassen ist unglaublich. Ein sehr schönes Beispiel dafür: „When the killing is done“.

Was ihn darüber hinaus einfach sympathisch macht: Anders als viele, die Literatur als mystische Kunst verstehen, deren einziger Zweck es ist, analysiert und theoretisch erschlossen zu werden, sieht er Literatur als Unterhaltung und stellt sie auf eine Stufe mit Musik oder Film. Er sagt, wenn du jemanden brauchst, der zwischen dem Autor und dem Leser vermittelt, weil die Geschichte es nicht schafft, den Leser zu packen, dann hilft alles nichts. Mich hat er auf jeden Fall gepackt.

Wer erst einmal klein anfangen will, dem empfehle ich zum Einstieg die Kurzgeschichte „I dated Jane Austen“, die vielleicht nicht zum Besten gehört, was er je geschrieben hat, aber auf jeden Fall zum amüsantesten, wenn er Jane und ihre Schwester Cassandra mit seinem Alpha Romeo abholt und erstmal mit ihnen ins Kino geht.

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