Dienstag, 21. Januar 2014

Fuck you, YOLO!!!

Der Drang (oder sollte man schon sagen Zwang?), sein Leben bis zum letzten auszukosten, es wirklich zu ERleben und jede Sekunde eines jeden Tages mit sinnvollem Inhalt zu füllen, hat in letzter Zeit ja Hochkonjunktur. Von dem inzwischen bis zum Erbrechen durchexerzierten „YOLO“ (für alle, an denen dieser Hype vorbeigegangen ist – ihr wenigen Glücklichen – „You Only Live Once“), über „Wir alle haben, zwei Leben. Dein zweites beginnt dann, wenn du realisierst, du hast nur eins“ (und auch wenn es im französischen Original super klingt, ist es im Prinzip dasselbe in grün) bis zu „Lebe jeden Tag als wäre er dein letzter“ wird man quasi überschüttet.

Und jetzt?

Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben, weil ich letzten Sonntag mit ungewaschenen Haaren und im Pyjama im Bett verbracht habe und mir nach der dritten Staffel „Sherlock“ (und anschließendem sinnlosen Benedict Cumberbatch-Anschmachten auf Instagram, Youtube und tumblr) auch noch die Teile 2 und 3 von „The Hollow Crown“ (mit anschließendem sinnlosen Anschmachten von Tom Hiddleston auf Instagram, Youtube, und tumblr) reingezogen habe?

Vielleicht kann ich mein Karma damit versöhnen, dass es sich bei Letzterem zumindest um Shakespeare-Verfilmungen handelt, mit denen ich nicht nur mich selbst glücklich gemacht habe, sondern auch noch meinem großen Bildungspuzzle weitere Teile hinzugefügt habe. Natürlich im englischen Original. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Aber wahrscheinlich reicht es trotzdem nicht, oder? Schließlich geht, nach der aktuellen Propaganda (und mal ganz ehrlich, was anderes ist das doch nicht), der Trend dahin, dass ich, um wirklich ein erfülltes Leben zu haben, nicht nur einen erfolgreichen, super interessanten Job brauche (wenn ich es nicht zum Schauspieler, Rockstar oder zumindest Kandidaten im Dschungelcamp gebracht habe, dann sollte es doch mindestens irgendwas mit Medien sein :o)), sondern zudem noch eine ganze Wagenladung Hobbies. Je ausgefallener desto besser. Also erlerne ich – als Ausgleich zum geistig extrem anspruchsvollen „Haikus schreiben zum Thema Quantenphysik“ und der Hardcore-Version von Trivial Pursuit – Makramé und eine alte, beinahe ausgestorbene Maya-Knüpftechnik, während ich meinen Körper mit Zumba und Yoga stähle. Und damit hier keine Unklarheiten aufkommen: mit „ich“ meine ich natürlich „man“.

Und auch die Kirche ist bestimmt nicht begeistert davon, dass sich ein Großteil der westlichen Welt plötzlich auf die Tatsache besinnt (wie es scheint, ja erst seit Neuestem), dass nach dem momentanen Gastspiel Schluss ist. War doch die Aussicht auf eine bessere Existenz nach dem Tod (Leben will da irgendwie nicht passen) schon immer der eine Anreiz, den sich alle Religionen zu Nutze gemacht haben, um ihre Gläubigen im Hier und Jetzt bei der Stange und vor allem ruhig zu halten. Ob nun Paradies, Wiedergeburt als einziger Sohn einer reichen Unternehmer-Familie oder die obligatorischen Jungfrauen, die Botschaft war doch immer die eine: Mach dir nichts draus, dass es jetzt gerade scheiße läuft, wenn du tot bist wird’s richtig super. Natürlich nur, wenn du dich benimmst!

Als andere Seite des Extrems ist das natürlich mindestens genauso dämlich, aber nur weil wir von der „Wenn ich brav bin, werde ich auch belohnt“-Mentalität weggekommen sind, müssen wir doch nicht gleich „Mein Leben soll geil sein und das um jeden Preis“ auf unsere Fahne schreiben. Denn was wenn das mal nicht funktioniert? Wenn der Job gerade einfach scheiße ist, wenn deine Beziehung schon lange keine Schmetterlinge mehr in deinem Bauch tanzen lässt und wenn du als Hobby lieber strickst, anstatt auf Skiern zum Nordpol zu wandern? Was bitte schön machst du dann? Hast du dann versagt?

Ich zumindest verspüre inzwischen öfters das spontane Bedürfnis, Leute mit einem „YOLO“-T-Shirt anzuspringen, sie zu Boden zu werfen, ihnen das Shirt vom Leib zu reißen und vor aller Augen zu verbrennen. Und dabei laut zu rufen: „Fuck you, YOLO!!!“

6 Kommentare:

  1. Tollstens geschrieben! Und so wahr. :-)

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  2. Sehr schön! Und diesem Bedürfnis nachzukommen, würde dich deiner persönlichen Befriedigung etc. sicher auch gleich noch um einiges näher bringen.

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    1. Bin ich mir nicht so sicher. Kurzfristig wahrscheinlich schon. Langfristig würde mich Müll aufsammeln am Straßenrand (und ich meine die wahrscheinlich folgenden Sozialstunden und nicht das T-Shirt :o)) wohl nicht glücklich machen.

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  3. Früher wurde von der Kirche bis ins Kleinste geregelt, wie man zu leben hatte. Die Esoterik- und sonstige Wellen ersetzten in den 80er bis 90ern die Sinnsuche und unterbreiteten, was am besten für den Mensch ist. Allmählich schlichen sich dann die Medien in das Privatleben. Ob es die ,Brigitte' und Konsorten ist, die einem vorschreiben will, wie man auszusehen hat oder andere Medien, die mir mitteilen, wie mies ich bin, wenn ich nicht dies und das in meinem Leben zustande bringe, alle wollen bei mir mitmischen. Und warum? Weil ihre Vorschläge Geld kosten. Wo kämen wir denn in einer Konsumgesellschaft hin, wenn jeder am Wochenende gemütlich zu Hause bleibt und zufrieden damit ist, vor dem Fernseher abzuhängen? Mein Idealgewicht ist dann erreicht, wenn ich keinen Gedanken daran verschwende. Mein Sinn des Lebens ist erfüllt, wenn ich zufrieden bin, vor mich hin zu leben. Ich habe keinerlei Interesse daran, mein Aussehen/Leben/Wohnsituation von Leuten be/verurteilen zu lassen, die mich nicht mal kennen. Also antworte ich künftig auf ein besitzergreifendes Yolo mit einem herzlichen LMAA! Lb. Grüße Angelika

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  4. Wo steht denn, das unter YOLO nicht auch ein Samstag nachmittag im Bett fällt? Schließlich auch Teil des Lebens, oder? ;) In diesem Sinne - genießen wir die Faulheiten und das Planlose In-den-Tag hinein leben, so lange es geht, schließlich - YOLO :D

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