Montag, 1. Juli 2013

Putz, Teufel, putz

Unterster Unterteufel 386 wusste, dass er ein Problem hatte. Das war nicht der Punkt. Es stand sogar völlig außer Frage, dass er ein Problem hatte. Er wäre der erste, der es zugeben würde. Nur dass „Probleme zugeben können“ in der Hölle leider nicht ganz oben auf der Liste der erwünschten Eigenschaften für einen Untersten Unterteufel stand. Um ganz genau zu sein, stand es überhaupt nicht drauf. Und um noch genauer zu sein, gab es so eine Liste gar nicht.
Aber zumindest sich selbst konnte er es eingestehen. Und das tat er auch: Er hatte ein Problem. Ganz klar. Dummerweise änderte das „Problem zugeben“ leider gar nichts am Problem. Welches im Vergleich wahrscheinlich gar nicht mehr als Problem erscheinen würde, wenn erst irgendeiner der anderen Untersten Unterteufel oder, Satan bewahre, einer etwas weiter oben in der Hierarchie davon Wind kriegte. Davon nämlich, dass er jeden Tag, wenn alle anderen schliefen in den Kesselraum, in dem die besonders Bösen auf kleiner Flamme vor sich hin kochten, und in die Folterkammern schlich und … putzte.
Von einem logischen Standpunkt her wusste er ja, dass es völliger Unsinn war und zudem für einen Untersten Unterteufel mehr als nur ein bisschen merkwürdig, dass ihn der ganze Dreck, der in der Hölle nun einmal zum täglich Brot dazu gehörte, in den Wahnsinn trieb. Schließlich war er ein Teufel, Herr Luzifer nochmal, und Teufel, auch ein Unterster Unterteufel wie er, der am untersten Ende der Nahrungskette vor sich hinfolterte, liebten Dreck. Hatten Dreck zu lieben. Und Ruß. Und Asche. Und Schweiß. Und Blut. Und eben alles, was so mit ihrem Tagesgeschäft einherging.
Nur dass er das nun einmal nicht tat. Er hasste alle diese Dinge von ganzem Herzen und es fiel ihm von Tag zu Tag schwerer, seiner normalen Arbeit nachzukommen. Manchmal hielt er es nur deshalb aus, weil er sich in Gedanken einen komplett weiß gefliesten und von oben bis unten desinfizierten Raum vorstellte, in dem sich kein noch so winziger Krümel Dreck verstecken konnte. Ob es wohl möglich war, dass er sich sein Wohnquartier dementsprechend umgestalten ließ, ohne dass allzu viele unangenehme Fragen gestellt wurden?
Für den Moment wäre er ja schon mit Gummihandschuhen zufrieden. Zumindest Gummihandschuhe sollten doch erlaubt sein, wenn man einem der Bösen die Eingeweide aus dem Bauch zog, oder etwa nicht? Immerhin war das eine ziemliche Sauerei. Er hätte, um ganz ehrlich zu sein, für einen Ganzkörper-Schutzanzug plädiert, aber Gummihandschuhe wären ein Anfang. Er hatte einmal bei seinem Chef, Unterteufel 431, nachgefragt, ob es nicht möglich wäre, Gummihandschuhe zu bekommen. Das würde er bestimmt nicht noch einmal machen. Wenn der ihn beim Putzen erwischen würde, na dann guten Tag. Zudem waren inzwischen viele Beschwerden von Benutzern der Folterkammern eingegangen, die sich auf deren plötzliche und unnatürliche Sauberkeit bezogen. Deswegen hatte Unterster Unterteufel 386 die letzten Wochen so gut wie möglich versucht, das Bedürfnis zu putzen zu unterdrücken und hatte nur hier und da mal die eine oder andere Folterkammer quasi grundgereinigt.
Aber heute hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Immerhin hatte er schon seit fünf Tagen gar nicht mehr geputzt. Außer in seinem Quartier und das war ohnehin so sauber, dass es keinen Unterschied machte. Noch länger konnte er nicht warten. Also war er jetzt, eine knappe halbe Stunde nachdem sich die Hölle für den Tag zum Schlafen niedergelegt hatte, wieder unterwegs zu dem kleinen Einbauschrank, den er entdeckt hatte und den niemand jemals benutzte, weshalb er perfekt dazu geeignet war, seine Sammlung von Putzsachen zu verstecken. Sicherheitshalber hatte er noch ein Vorhängeschloss angebracht. Das Schloss sowie die meisten Putzutensilien hatte er im Internet bestellt, was sogar dann ganz gut funktionierte, wenn man als Lieferadresse: Hölle, 233. Stockwerk von oben, Abschnitt R, Flur 34, Zelle 212 angab. Wahrscheinlich gingen seine Nachbarn davon aus, dass er die neuesten Folterwerkzeuge auf Ebay bestellte. Da gab es ja reichlich Auswahl.
Nachdem er sich mehrmals vergewissert hatte, dass sich niemand in der unmittelbaren Umgebung aufhielt und ihn beobachten konnte, schloss er den Schrank auf. Wie jedes Mal musste er einfach einen Moment dastehen und sein Repertoire bewundern, welches fein säuberlich nach Einsatzzweck geordnet den gesamten Schrank ausfüllte. Da gab es Bürsten, Besen, Staubwedel, Staubtücher aus Micro-Faser, Schrubber, Wischmops, Lappen für nasses Wischen, Lappen zum trocken Nachwischen, Schwämme sowie Fenstertücher und Abstreifer, die dafür sorgten, dass auf glatten Ebenen keine Wischspuren zurückblieben. Natürlich hatte er auch ein ganzes Sortiment von Gummihandschuhen. Er hatte Allzweckreiniger in den Sorten Lemon, Fresh, Lemon-Fresh und Orange Flower, Glasreiniger, Chlorreiniger, Kalkreiniger, Sanitärreiniger, Fliesenreiniger, Fensterreiniger, Industriereiniger, Möbelpolitur und Raumspray. Mit Bio-Reinigern gab er sich gar nicht erst ab. Nur Chemie hatte eine Chance gegen den ganzen Dreck hier unten. Sein ganzer Stolz war das Sortiment an antibakteriellen und desinfizierenden Putzmitteln, die nicht nur sauber machten, sondern auch noch alles abtöteten, was vielleicht sonst noch so da war.
Er gab ein verklärtes Seufzen von sich, strich mit den Fingern liebevoll über einige der Bürsten und Schwämme, und wählte dann für den heutigen Tag einen Schrubber und verschiedene Lappen sowie Allzweckreiniger und Sanitärreiniger, beides mit Zitronenduft, aus. Dann machte er sich auf den Weg. Er machte immer die gleiche Runde. Zuerst fegte und wischte er den Kesselraum, dann ging er weiter zu den Folterkammern, die er der Reihe nach abarbeitete, wobei er sich diejenige mit den Ketten und Haken bis zuletzt aufsparte. Zum einen, weil es am längsten dauerte, bis er all die einzelnen Kettenglieder und die Haken in verschiedenen Größen auf Hochglanz poliert hatte. Zum anderen, weil er sich auf diesen Teil jedes Mal von neuem am meisten freute. Das Polieren all diesen Stahls versetzte ihn oft in einen geradezu meditativen Zustand und ließ ihn sein ganzes schreckliches sonstiges Dasein in der Hölle zumindest für eine kurze Zeit vergessen.
Auch dieses Mal lief alles wie gewohnt, bis er die letzte Folterkammer erreichte. Gerade wollte er nach der ersten Stahlkette greifen, um sie vor dem Polieren in einen Bottich mit Reiniger zu tauchen, als hinter ihm eine Stimme ertönte: „Wusste ich es doch.“
Unterster Unterteufel 386 fuhr herum und erstarrte. Er wollte schlucken, musste aber feststellen, dass auf wundersame Weise jeglicher Speichel aus seinem Mund verschwunden war. Er brachte nichts weiter zustande als ein trockenes Klicken. Dagegen schien es dem Rest seines Körpers nicht an Flüssigkeit zu mangeln. Er brach in Schweiß aus. Vor ihm stand Unterteufel 431. Sein Chef.
„Ich wusste es. Seit dieser Frage nach den Gummihandschuhen, wusste ich, dass mit dir was faul ist. Welcher Unterste Unterteufel, der was auf sich hält, würde sich nicht genüsslich die Finger ablecken, nachdem er sich gerade durch die Eingeweide eines Delinquenten gewühlt hat? Und dann die ganzen Berichte über das Phantom, das tagsüber die Folterkammern putzt. Da hat es bei mir Klick gemacht.“ Unterteufel 431 kam noch einen Schritt näher. „Ich warte schon eine ganze Weile darauf, dich endlich zu erwischen.“ Noch einen Schritt näher. „Du warst vorsichtig, aber ich wusste, früher oder später würdest du weitermachen und ich kriege dich.“ Noch einen Schritt. „Und wie du siehst, hatte ich recht. Also, was soll ich jetzt mit dir machen?“ Unterteufel 431 tat den letzten Schritt und stand jetzt genau vor Unterster Unterteufel 386, der sich seit dem Anfang der Ansprache nicht vom Fleck gerührt hatte. „Hm?“ fragte Unterteufel 431, streckte den Kopf vor und kam ihm dadurch noch ein bisschen näher. „Was soll ich jetzt mit dir machen? Hast du eine Idee?“
Unterster Unterteufel 386 reagierte, ohne genau zu wissen, wie ihm geschah. Er riss die Hand hoch, die die Sprühflasche mit dem Allzweckreiniger hielt und sprühte Unterteufel 431 die Flüssigkeit direkt in die Augen. Dieser schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht. Unterster Unterteufel 386 schnappte sich den Schrubber und schlug damit solange auf Unterteufel 431 ein, bis dieser sich nicht mehr rührte. Und nur um sicher zu gehen noch fünf Minuten länger. Als er sich ganz sicher war, dass Unterteufel 431 nicht mehr bei Bewusstsein war, legte Unterster Unterteufel 386 den Schrubber weg, packte Unterteufel 431 an den Beinen und schleifte ihn hinter sich her in den Kesselraum. Dort warf er ihn in einen der unbenutzten Kessel, drehte das Gas bis zum Anschlag hoch und sah zu, wie Unterteufel 431 in kürzester Zeit zu einem nicht identifizierbaren Klumpen Fleisch zerkochte. Danach ging Unterster Unterteufel 386 zurück, um seine Spuren zu verwischen. Nur gut, dass es ihm nicht an Putzzeug mangelte.

2 Kommentare:

  1. Zu schön :) Der unterste Unterteufel 386 darf gerne mal bei mir zum Putzen vorbeikommen. Der hätte Spaß.

    AntwortenLöschen
  2. "Sauber, sauber!", mag man ausrufen und völlig zu recht ... geschieht es ihm am Ende, dem Unterteufel 431 mit seinen schmutzigen Tricks. Putzig, Unterteufel 386, einfach nur putzig.

    * dental blinkend grins *

    Großes Lob und liebe Grüße

    Bernar

    AntwortenLöschen